Wenn ich so zurückdenke, dann wünsche ich mir ab und zu es wäre nicht mein erstes Mal gewesen. Vielleicht wäre ich etwas cooler geblieben. Wer weiß, schwer zu sagen.
Hollywood ist in der Stadt
Ich hatte schon oft von Freunden oder Kommilitonen gehört, die bei "In 80 Tagen um die Welt" als Security oder beim „Der Vorleser“ als Komparse mitgemacht hatten.
Warum ich vorher nicht auf die Idee gekommen bin, weiß ich nicht, nun war es jedenfalls so weit, Wes Anderson kommt in die Stadt und ich wollte unbedingt mitmachen.
Also ging ich, wie viele hunderte andere, ins Wichernhaus zum Casting. Das hieß zwei Stunden anstehen für drei Fotos, aber die Atmosphäre unter all den Menschen die gern
Komparse sein wollten war schon großartig.
Blog: Komparse: Good to know
Ohne etwas vorwegzunehmen, bin ich ganz offensichtlich ausgewählt worden, so wie viele andere auch als Soldat, denn davon wurden eine Menge benötigt. In der ersten
Info-E-Mail standen auch die ersten Anweisungen, man solle sich doch nach Möglichkeit einen Schnauzer stehen lassen, der Haarschnitt wir vor Ort durch die Maske angepasst.
Nach dem sich die Aufregung vom ersten Drehtag, der im Grunde nur aus Einkleiden, Haarschnitt und viel Warten auf das Zurechtmachen der anderen hundert Komparsen bestand,
kehrte an den folgenden Drehtagen Ernüchterung ein. Hier wurde mir ganz schnell klar was es bedeutet Komparse zu sein. Ich kam täglich um 7 Uhr an den Drehort, zog mein Kostüm an,
holte mir einen Kaffee um dann lang und ausgiebig zu warten. Als Komparse wartet man eigentlich immer nur auf zwei Ereignisse, darauf dass man eingesetzt wird oder auf die nächste
Mahlzeit. Früh wartet man auf das Mittagessen und nach dem Mittagessen wartet man auf das Kaffeetrinken. Und dann ruft eine Stimme in den Keller, die wie auf einem Schiff von jedem
fünften wiederholt wird, „alle Küchenangestellten an den Set“ und mit ganz viel Glück hört man zwei Stunden später „so jetzt alle schwarzen Soldaten an den Set“, dann steigt die
Aufregung. Die Küchenangestellten kommen einem wieder entgegen und man selbst steigt die Treppen empor.
Die räumliche Situation im Görlitzer Kaufhaus war sowieso eine sehr spezielle. Denn der komplette Keller war voll mit ca. 80 Komparsen in unterschiedlichen Kostümen. Die Mehrzahl
von uns waren jedoch entweder schwarz oder grau uniformierte Soldaten. Enge schmale Flure, kleine Räume und keine Fenster ließen mich ansatzweise erahnen, wie es wohl in einem
Luftschutzbunker zugegangen sein muss. Sehr beklemmend - möchte ich nie erleben müssen.
Somit kam der Gang nach Oben schon einer Art Befreiung gleich und man war endlich am Set. Man steht oder sitzt irgendwo und raucht, zumindest als Raucher, filterlose Zigaretten,
die man zugeteilt bekommt, weil es zu der Zeit, zu der der Film spielt, nur filterlose Zigaretten gab. Der ganze Raum, besser gesagt die ganze Halle des Görlitzer Kaufhauses sollte
verraucht sein, dazu wurde noch extra Qualm eingeblasen. Und komischerweise freut man sich über kostenlose Zigaretten und die Tatsache, dass man am Set rauchen darf. Man ist so aufgeregt,
dass man gar nicht darüber nachdenkt, dass man ja in den letzten 5 Stunden Wartezeit sowieso schon eine Schachtel weggequalmt hat vor lauter Langeweile. Ich denke, für Raucher die als
Komparsen gebucht werden steigt das Krebsrisiko um ca. 85% nur an den Drehtagen.
Ich wusste nicht wie mir geschieht
Ich kann es nicht mehr genau sagen, ob es der dritte oder vierte Drehtag war, an dem ich wieder pünktlich um 7 Uhr am Drehort erschien. Es waren sogar 5 Minuten vor 7 und alles war
in heller Aufregung „Where‘s Sebastian? Where‘s Sebastian? Oh, u are Sebastian? Nice, then hurry up.“ Von vier Menschen in der Garderobe wurde ich gleichzeitig in mein Kostüm gehievt,
Haarschnitt passte noch, noch ein bisschen Schminke, die bekommt man als Komparse so gut wie nie, weil man ja weit genug von der Kamera entfernt ist und dann los die Stufen hoch zum Set.
Hier wurde ich abgeholt von jemanden der sonst immer ganz dicht bei der Kamera mit „abhängt“, also jemand der etwas zu sagen hatte. Mein Herz pochte mir schon jetzt bis zum Hals, als ich
gefragt wurde „Do you like candies?“ Was denn jetzt los, dachte ich? Ich war völlig paralysiert. Ich werde von einem fremden Mann aus Hollywood aus dem Keller geholt, der mich fragt,
ob ich Süßes mag. „Ähm, yes.“
Ich wurde zu einem Schreibtisch im vorderen Bereich der Kaufhaushalle geführt, vor dem die Kamera stand, mit Wes* Anderson daneben. Edward Norton und Owen Wilson lagen ca. 2 Meter entfernt
auf einem Teppich und alberten herum. Ab diesem Zeitpunkt fühlte sich alles wie im Traum an, ich war völlig weggetreten. Wes* erklärte kurz die Szene und was er von mir wollte, was
freundlicherweise von dem Co-Produzenten oder Ähnlichem aus Babelsberg übersetzt wurde, denn ich konnte weder sprechen noch fremde Sprachen verstehen, da ich mich wie in einer Unterwasserblase
fühlte, also nickte ich immer nur.

Genau diese Blase löste sich leider auch nur ganz langsam auf, daher sind meine Erinnerungen nur noch bruchstückhaft. Ich drehte die ersten Szenen alleine, emotionsloses Aufschauen und
in die Kamera blicken war gefragt. Des Weiteren durfte ich von einem Törtchen abbeißen und mir meine Finger ablecken. Alles soweit ganz einfach. Dann schlüpfte Wes Anderson sogar in die Rolle von Monsieur Gustave, als er
sich den hellblauen Kittel überstreifte, um mir ein Schächtelchen hinzustellen. Unglaublich, ein Dreh mit Wes Anderson höchstpersönlich.
Blog: Das ist Film

Und dann ging es Schlag auf Schlag, das „Who is Who“ aus Hollywood kam zu mir an den Schreibtisch. Nun durfte ich mit Saoirse Ronan drehen, die mich in einer kurzen Pause zu einem Smalltalk einlud, bei dem ich gefühlt nur in einem gebrochenen Englisch stotternd antworten konnte. Das waren alles etwas zu viele Eindrücke für mich, an meinem ersten Einsatz als „Komparse“. Doch damit nicht genug, denn nun kam Ralph Fiennes hinzu. In meinen Augen ein sehr konzentrierter und perfektionistischer Schauspieler, der gern noch die ein oder andere Wiederholung machen wollte, um noch einszwei Feinheiten zu ändern, obwohl Wes* schon vollkommen zufrieden mit ihm war. Ralf* durfte dann aber gern noch einmal und konnte wirklich immer noch „eine Schippe drauflegen“. Unglaublich beeindruckend solch eine Persönlichkeit bei der Arbeit beobachten zu dürfen.

Your Face is too special
Die kommenden Drehtage war ich nun richtig "heiß". Endlich locker genug geworden durch dieses Erlebnis wartete ich ungeduldig darauf wieder mit den anderen schwarzen Soldaten nach oben gerufen zu
werden. Doch jedes Mal, wenn wir nach Oben gingen, hieß es dann nur „Sorry, not you. Your face is too special.“ Einmal komplett im Bild gewesen zu sein machte es wohl unmöglich mich weiterhin
im Hintergrund einzusetzen. Nur die Szene im joggenden Soldatentrupp vor dem Hoteleingang durfte ich noch mitmachen.
Blog: Der unsichtbare Dritte
Unter Freunden, die mit als Komparse dabei waren, sollte dieser Spruch über die Jahre zu einem Running Gag werden. „Basti, ich glaube nicht das dich der Türsteher heute reinlässt, your Face is too special.“
Ein Spruch der aber jedes Mal die Erinnerungen an dieses unvergessliche Erlebnis aufleben lässt.
* Am Set wird sich grundsätzlich geduzt. Man kennt dies von Werbeagenturen, das soll Hierarchien zwischen Chef und Angestellten aufweichen. Ich kann mich daran immer nur schwer gewöhnen die Stars am Set zu duzen und ist als Komparse in meinen Augen auch nicht angebracht, obwohl Dich grundsätzlich jeder Star am Set auch als Kollege betrachtet.